Sollten „Rachepornos“ verboten werden?

Max Harris erklärt, warum Großbritannien ein Gesetz gegen sogenannte Rachepornos erließ und vergleicht dies mit der rechtlichen Situation in anderen Ländern.

Durch das Internet entwickeln sich laufend neue Normen und Verhaltensweisen. Sogenannte ‚trigger warnings’ (dt. Warnhinweise auf Inhalte, die z.B. bei Opfern von sexueller Gewalt Unwohlsein auslösen können) verbreiteten sich zum Beispiel zuerst online, wurden dann jedoch auch immer häufiger offline verwendet, wie zuletzt auch andernorts berichtet wurde. In den sozialen Medien kann der Ton oft sehr viel schärfer sein, da sich hier niemand in die Augen sehen muss. Der vielleicht besorgniserregendste Aspekt dieser Veränderungen ist das mutwillige Verbreiten von Bildern im Internet, die andere Menschen (ohne ihre Einwilligung) nackt oder beim Sex zeigen, denn es ist immer einfacher, mit Handys Bilder zu machen und zu teilen.

Die Schauspielerin Jennifer Lawrence trug dazu bei, dass dieses Thema in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, nachdem Nacktbilder von ihr im Internet verbreitet wurden. Hacker waren zuvor in ihren iCloud-Account eingedrungen und hatten die Bilder dort gestohlen. Kurz darauf erfuhr die Welt von der Tragödie Tyler Clementis, eines 18-jährigen Studenten an der Rutgers-Universität an der Ostküste der USA. Clementi beging Selbstmord, nachdem sein Mitbewohner ihn beim Sex mit einem anderen Mann gefilmt hatte und das Video auf Twitter verbreitete.

Auch bei sogenannten Rachepornos (engl. revenge porn) handelt es sich um private Bilder und Videos, die ohne Einwilligung der Eigentümer verbreitet werden. Oft geschieht dies nachdem eine Beziehung in die Brüche gegangen ist, und es gibt sogar bestimmte Internetseiten für solche Bilder und Videos. Nachdem der Freund von Holly Jacobs intime Aufnahmen von ihr auf eine Seite für Rachepornos gestellt hatte, gründete sie die Cyber Civil Rights Initiative (CCRI, dt. Cyber-Bürgerrechtsinitiative) und startete 2012 die Kampagne End Revenge Porn (dt. Stoppt die Rachepornos). Nachforschungen von CCRI haben ergeben, dass einer von zehn Ex-Partnern droht, intime Aufnahmen ins Internet zu stellen. 60% setzen diese Drohung um, und in 90% der Fälle sind die Opfer Frauen.

Dies kann erheblichen Schaden anrichten. Opfer berichten von psychischen Problemen, Problemen beim Umgang mit Männern, Alkoholismus und Gewichtsverlust. Die Studie von CCRI zeigt, das 93% der Opfer von Rachepornos signifikanten psychischen Schaden erleiden.

Und wie haben Regierungen, in Anbetracht mangelnder Regulierung des Internets, darauf reagiert? Das britische Parlament erließ 2015 den Criminal Justice and Courts Act (dt. Gesetz zum Strafrecht und den Gerichten), das am 12. Februar 2015 in Kraft trat. Das Gesetz kam aber nur dank der unermüdlichen Arbeit von Aktivisten und Anwälten zustande. Deshalb gibt es nun die neue Straftat des „Veröffentlichens privater Intimaufnahmen mit der Absicht, Unwohlsein auszulösen“. Solche Handlungen können mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Die neue Straftat hat sechs wichtige Merkmale:

Veröffentlichen (engl. disclosing) – definiert als die Übergabe, das Zeigen oder das Bereitstellen „mit jeglichen Mitteln“ an eine andere Person;

Privater – dies bedeutet Aufnahmen einer Art, wie sie normalerweise in der Öffentlichkeit nicht gesehen werden“;

Intimaufnahmen – dies bedeutet Aufnahmen von Genitalien oder des Genitalbereichs, oder Aufnahmen die eine normale Person als intim bezeichnen würde; bei Aufnahmen kann es sich um Fotos oder Film handeln, oder auch Negative, Ausschnitte aus Filmen oder Daten, die in solche umgewandelt werden können;

Ohne die Zustimmung der Person, die in den Aufnahmen zu sehen ist; und mit der Absicht, Unwohlsein auszulösen – es reicht also nicht, dass Unwohlsein die natürliche oder wahrscheinliche Reaktion ist, d.h. Absicht muss vorliegen.

Das Gesetz sieht drei Ausnahmen vor (sowie weitere nicht spezifizierte Gründe, warum eine Handlung nicht als Racheporno ausgelegt werden kann). Erstens können Ausnahmen gemacht werden, wenn der Beschuldigte eine Straftat verhindert, untersucht oder aufdeckt. Zweitens kann der Beschuldigte die Strafbarkeit umgehen, wenn die Aufnahmen als Teil journalistischer Arbeit veröffentlicht wurden, die dem öffentlichen Interesse dient. Drittens können Beschuldigte sich damit verteidigen, dass ihnen die Aufnahmen „gegen Entgelt“ zur Verfügung gestellt wurden. Dies ist eine etwas unhandliche Formulierung, die sich wahrscheinlich auf Situationen bezieht, in denen die Aufnahmen käuflich erworben wurden und öffentlich zugänglich sind.

Die Verabschiedung dieses Gesetzes ist eine positive Entwicklung. Das Gesetz schützt die Opfer eines immer häufiger auftretenden Problems. Darüber hinaus enthält es detaillierte Richtlinien für die Polizei und Staatsanwaltschaft, die genau regeln wie das Gesetz angewendet werden soll. Jedoch hat das Gesetz auch mindestens drei Schwachstellen:

Des Begriff „Absicht“ ist sehr eng definiert. Normalerweise stellen die Gerichte in Großbritannien fest, ob entweder klare Beweise vorliegen, dass eine Handlung absichtlich vorgenommen wurde oder ob die Konsequenzen einer Handlung offensichtlich sind. Das neue Gesetz lässt den zweiten Fall nicht zu, was es den Opfern erschwert, die Absicht des Täters nachzuweisen.

„Intim“ wurde ebenfalls eng, oder man könnte sogar sagen unklar, definiert. Das Gesetz nennt zum Beispiel Aufnahmen von Genitalien oder dem Genitalbereich „intim“. Ergänzend wird hinzugefügt, dass intim ist, was eine normale Person als intim empfindet. Man kann nur hoffen, dass die Richter diese Formulierung vernünftig interpretieren. Es besteht jedoch die Gefahr, dass das Gesetz wegen dieser Formulierung manche intimen Aufnahmen ausschließt. Schon länger wird kritisiert, dass Gesetze, die sich auf „normale Personen“ berufen, ihren Zweck verfehlen können und dazu führen, dass die Meinung der Mehrheit automatisch zum Gesetz wird.

Die Ausnahme für „journalistische Arbeit“ kann sehr leicht ausgenutzt werden. Die Person, die das Material veröffentlicht, muss nachvollziehbar darlegen können, dass die Veröffentlichung im öffentlichen Interesse ist. Jedoch kann es durchaus vorkommen, dass anstößige Fotos zum Beispiel auf einem Blog unter dem Vorwand „journalistischer Arbeit“ veröffentlicht werden (vor allem dann, wenn sie Teil eines längeren Texts sind). Das Prinzip der Meinungsfreiheit könnte dann zur Verteidigung des Täters herangezogen werden. Es wird sich erst noch herausstellen, ob dies nur eine theoretische Gefahr ist oder tatsächlich zum Problem für Opfer werden kann.

Wie unterscheidet sich Großbritannien hier vom Rest der Welt? Viele Länder haben bereits ähnliche Gesetze erlassen, z. B. Japan und die Philippinen. Der beste Vergleich kann mit Kanada, den USA, Australien und Neuseeland gezogen werden, da diese Länder ein ähnliches Rechtssystem haben wie Großbritannien. All diese Länder haben zudem gemein, dass sie Gesetze gegen Rachepornos erlassen haben. Nehmen wir das Beispiel einiger Bundesstaaten in den USA. Kalifornien wagte den ersten Versuch, wurde jedoch heftig kritisiert, da das Gesetz scheinbar eine Ausnahme vorsah, wenn es sich bei der Aufnahme um einen Selfie des Opfers handelte (was relativ häufig vorkommt). Kanadas Parlament hat über ein Gesetz mit dem Titel „Protecting Canadians from Online Crime Act“ (dt. Gesetz zum Schutz der Kanadier vor Onlinekriminalität) beraten. Dieses Gesetz beschreibt Rachepornos etwas anders als das britische, nämlich als nicht bewilligtes Teilen von intimen Aufnahmen. Es wird jedoch fast gleich angewandt. Manche Kommentatoren in Kanada wandten ein, dass man Rachepornos mit Zivilrechtsverfahren und Urheberrechtsklagen besser bekämpfen könnte. Neuseeland ist ebenfalls dabei, ein Gesetz zu erlassen. Es hat den Titel „Harmful Digital Communications Bill“ (dt. Gesetz gegen schädliche digitale Kommunikation) und sieht Haftstrafen von bis zu zwei Jahren für Personen vor, die absichtlich schädliche Informationen digital übertragen. Dieses Gesetz ist flexibler gefasst als andere. Es führt sieben Faktoren auf, die Richter bedenken müssen wenn sie das Ausmaß des Schadens ermessen. Zu diesem gehören u.a. wer das Opfer ist und wie weit die Aufnahmen verbreitet wurden, sowie den weiteren Zusammenhang des Falls. Wenn Gesetze so verfasst werden, kann sichergestellt werden, dass das Strafmaß genau auf den Fall zugeschnitten ist. Gleichzeitig jedoch ist für die Opfer (und auch für Anwälte und Richter) unklar, wie der Prozess ausgeht. Der australische Bundesstaat Victoria hat ebenfalls ein Gesetz mit einem ähnlichen Problem erlassen. Dieses macht die absichtliche Verbreitung einer intimen Aufnahme, die gegen die Sittlichkeit verstößt, zu einer Straftat. Nun ist es im Strafrecht nicht unüblich, dass Sitten zitiert werden. Jedoch gibt es keine klare Definition davon, worin Sittlichkeit besteht. Dies hat zur Folge, dass der Ausgang eines Falls stark vom Richter abhängen kann. Insgesamt kann man also durchaus sagen, dass das britische Gesetz besser ist als die Gesetze in vergleichbaren Ländern.

Manche würden vielleicht entgegnen, dass es in Großbritannien bereits ausreichende Gesetze für solche Fälle gibt, wie zum Beispiel die Gesetze gegen Belästigung und Vertrauensbruch. Doch ein Gesetz speziell für diese Straftat stellt sicher, dass alle Opfer gleichbehandelt werden. Zudem ist Vertrauensbruch nur ein zivilrechtliches Vergehen. Rachepornos zu kriminalisieren, macht es für Opfer einfacher, vor Gericht zu gehen. Die Aktivistengruppen PEN und Article 19 behaupten, das Gesetz beschränke die Meinungsfreiheit. Doch in seiner derzeitigen Form enthält es explizite Ausnahmen für journalistische Arbeit (die manchmal als zu weitgehend bezeichnet werden). In keinem der bekannten Fälle von Rachepornos kann man ernsthaft behaupten, dass jemand seine Meinung auf eine Art und Weise ausgedrückt hat, die der Würde, der Wahrheit oder der Demokratie dienten. Vielleicht gibt es auch Menschen, die glauben, dass Rachepornos nach dem Trauma eines Beziehungsendes gerechtfertigt sind. Doch diese Sichtweise ignoriert den Schaden, den Rachepornos anrichten (siehe oben). Die kanadische Justizvereinigung (Canadian Criminal Justice Association) wendete zudem ein, dass das Gesetz nur weiter zur ohnehin zu hohen Zahl von Strafgefangenen beitrage. Dies ist ein legitimer Einwand, vor allem in Großbritannien. Doch es wird kaum lange Haftstrafen für dieses Vergehen geben, und dieser Einwand ist höchstens ein Argument zur Art der Bestrafung – nicht aber zur Frage, ob Rachepornos überhaupt erst eine Straftat sein sollten.

Das britische Gesetz zu Rachepornos ist ein wichtiger Versuch, die Opfer dieser Straftat zu schützen. Damit versucht das Gesetz, der neuen Realität des Internets Rechenschaft zu tragen. Doch wie Ann Olivarius richtig feststellt, geht es nicht weit genug. Auch sollte der Begriff ‚Rachepornos’ an sich überdacht werden, denn er impliziert, dass der Täter aus nachvollziehbaren Gründen handelt. Holly Jacobs schlägt vor, stattdessen den Ausdruck ‚cyber rape’ (dt. Cybervergewaltigung) zu verwenden. Ein anderer Vorschlag ist „malicious sharing“ (Abk. „mal-sharing“, dt. böswilliges Teilen). Abgesehen davon, welchen Ausdruck wir wählen, sollten die Internetseiten, die die Aufnahmen zeigen, bekämpft werden und auch das gesellschaftliche Umfeld, das diese Taten möglich macht, muss sich verbessern.

Max Harris ist Examination Fellow am All Souls College der Unversität von Oxford.

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