Unsere Höhepunkte des Jahres 2015

Neil Dullaghan fasst ein Jahr der Konflikte und Kontroversen um die Meinungsfreiheit zusammen. Mehr zu diesen Themen findet Ihr auf unserer Seite.

Das Jahr 2015 sah sehr viele Vorfälle, bei denen es darum ging, wie wir die Meinungsfreiheit verstehen und beschützen, von Konflikten um Religion und Meinungsfreiheit bis zu Debatten über das Zensieren beleidigender Inhalte. Eine der wichtigsten Debatten des Jahres drehte sich darum, wie man eine Balance zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem potenziellen Schaden, der durch freie Meinungsäußerung entstehen kann, schafft. Diese Debatte spielte sich überall ab, von den traditionellen Printmedien bis hinein in die benutzergenerierten sozialen Medien.

Das Jahr begann mit den islamistischen Terroranschlägen auf die Angestellten von Charlie Hebdo in Paris. Timothy Garton Ash, der Direktor der Debatte zur Meinungsfreiheit, stieß daraufhin die Diskussion darüber an, wie die Medien es vermeiden können, dass das „Veto der Attentäter“ entsteht. Er argumentierte: „Wir lösen unsere Konflikte nicht durch Gewalt. Wir lösen sie in Debatten.“ Weiterhin wies er die Schuld ganz klar den Terroristen zu: „Die Attentäter, nicht die Karikaturisten, haben sich am Bild des Propheten vergangen.“ Ian McEwan, einer der bekanntesten Autoren Großbritanniens, sagte in der Debatte zur Meinungsfreiheit, dass diese nicht der Feind, sondern der Beschützer der Religionen sei. In Europa sei „die Freiheit, die den Redakteuren und Journalisten von Charlie Hebdo ihre Satire ermöglicht, die gleiche Freiheit, die es den Muslimen in Frankreich ermöglicht, ihren Glauben und ihre Meinungen frei auszudrücken.“ Die war nur der Anfang einer langen Debatte.

Die Meinungsfreiheit ist nicht einfach – sie macht Lärm und kann verletzen

Vielleicht erlebt der Islam, genau wie das Christentum vor der Aufklärung, seine „totalitäre Phase“. Vielleicht ist dies die Ursache der Gewalt. Die Meinungsfreiheit ist „schwierig, macht Lärm und kann verletzen“, doch sie ist die einzige Alternative zur Gewalt, wenn so viele Weltanschauungen auf engem Raum koexistieren.

Leslie Greens Vorlesung erinnerte uns daran, dass 2015 Religion, Meinungsfreiheit und Gewalt auch über Charlie Hebdo und den Islam hinaus verbunden waren. Er zitierte die buddhistischen Ideen zur Vermeidung von falscher, missbrauchender und spaltender Rede, unterstützt von Matthew J. Walton, einem Senior Research Fellow in Oxford, der sich mit der Idee der „rechtschaffenden Rede“ auseinandersetzte. Zudem sprach Giles Fraser, Kolumnist und anglikanischer Priester, mit uns darüber, ob man die Meinungsfreiheit als einen „christlichen Wert“ ansehen kann. Er erzählte auch davon, wie er selbst als Priester in der anglikanischen Kirche seine Meinungsfreiheit ausübte.

Die Zensur war eines der Kernthemen des Jahres. Dabei ging es stets um die Angst davor, den Staat oder andere Menschen zu beleidigen. Im Bereich der Printmedien fragten wir, ob die Charlie Hebdo-Karikaturen wiederveröffentlicht werden sollten und ob die Neuauflage von Büchern wie Mein Kampf eine Gefahr darstellt. In den digitalen Medien war eines der Hauptthemen die Entscheidung der indischen Regierung, den Film „India’s Daughter“, eine Dokumentation der BBC über eine berüchtigte Gruppenvergewaltigung, zu verbieten. Die Regierung berief sich hierbei auf die Argumente, dass der Film „Gewalt gegen Frauen ermutigt und anfacht“ und zu einem „erheblichen öffentlichen Aufschrei und ernsthaften Problemen mit der öffentlichen Ordnung“ führen könne. Doch nicht nur der Staat mit seiner langen Geschichte der Filmzensur, sondern auch normale Bürger unterstützten das Verbot. Diese rechtfertigten es damit, dass niemand „die Würde und den Stolz der Nation missbrauchen“ dürfe. In Indien wurde jedoch gleichzeitig auch ein Gesetz abgeschafft, dass die freie elektronische Kommunikation beschnitten hatte, während in Singapur der 16-jährige Amos Yee verhaftet wurde, weil er ein Video auf YouTube gestellt hatte, das den verstorbenen Staatsgründer Lee Kwan Yew beleidigte. Seine Anwälte argumentierten, dass das Gesetz dessen Verstoß er bezichtigt hatte, sich eigentlich auf die Verbreitung von Pornografie beziehe.

Im Jahr 2015 entwickelte sich auch eine neue Konversation zu einem Thema der digitalen Ära: Vergewaltigungspornos und Rachepornos. In Großbritannien wurden im Frühjahr Gesetze erlassen, die die Veröffentlichung privater Nacktbilder (Rachepornos) und den Besitz von pornografischen Abbildungen von Vergewaltigungsszenen strafbar machen. Jedoch enthielten diese Gesetze einige Lücke. Die Meinungsfreiheit kann mit in Betracht gezogen werden, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt, doch es muss sich erst noch herausstellen ob dies „nur eine theoretische Gefahr darstellt oder sich als ernsthafte Hürde für Opfer herausstellen wird“.

Diese Debatte darüber, ob es ein unbedingtes Recht zur freien Meinungsäußerung gibt und inwiefern die Rechte potenzieller Opfer der freien Meinungsäußerung geschützt werden müssen zog sich durch das ganze Jahr. Sie war auch Teil einer Veranstaltung der Debatte zur Meinungsfreiheit Ende 2015 zum Thema des „no-platforming“ (engl. Verweigerung des Podiums, gemeint ist die Weigerung, kontroversen Personen die Möglichkeit zu geben, zu einem größeren Publikum zu sprechen). Die Teilnehmer debattierten darüber, ob es einen Unterschied gibt zwischen dem Recht zur freien Meinungsäußerung und dem Recht auf ein öffentlichkeitswirksames Podium. Doch wir waren auch daran interessiert, ob man nicht den Übeltätern sofort das Recht einräumen sollte, ihre Meinung zu sagen und dann stattdessen darüber debattieren sollte, wie sich die auf die Qualität der Debatte auswirkt. In der digitalen Welt nahm die Federal Communications Commission (Behörde zur Regulierung des Kommunkationswesens) der USA hier klar Stellung, also sie die Netzneutralität schützte und damit das Internet als offenen Plattform für die freie Meinungsäußerung erhielt. Doch wurden wir in diesem Jahr auch immer wieder daran erinnert, dass es der Fortschritt in Richtung Meinungsfreiheit nicht garantiert ist. Linke Politiker in Lateinamerika nutzten Gesetze, Rhetorik und Propaganda um die Medien zu zensieren, Dissidenten zum Schweigen zu bringen und die Meinungsfreiheit in diesem Teil der Welt einzuschränken.

Das Jahr 2015 brachte neue Debatten über die Meinungsfreiheit und ihre Grenzen. Doch manche Grenzen stellten sich auch als beständig heraus. Es wurde auch klar, dass sich über die Meinungsfreiheit nicht alle einig sind.

Neil Dullaghan ist bei uns zuständig für soziale Medien. Er ist MPhil-Student in Politikwissenschaften (Europäische Politik und Gesellschaft) am Mansfield College der Universität von Oxford. Zuvor studierte er Internationale Beziehungen und arbeitete für die International Coalition for the Responsibility to Protect, die United Nations University und Castleford Media.

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Das Projekt „Debatte zur Meinungsfreiheit“ ist ein Forschungsprojekt des Dahrendorf Programme for the Study of Freedom am St Antony's College an der Universität von Oxford.

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