Kann ein Überwachungsstaat ein Rechtstaat sein?

Jeff Howard untersucht die rechtlichen Grundlagen für das Sammeln von Daten von Ausländern und US Bürgern durch die amerikanische Regierung mit Hinblick auf den 4. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten.

Und schon wieder ist es passiert: anscheinend zwielichtige Geheimnisse über das Verhalten der amerikanischen Regierung wurden von internen Quellen ans Tageslicht gebracht. Anfang Juni 2013 erfuhr die Welt, dass die National Security Agency (Nationale Sicherheitsbehörde), NSA persönliche Daten von Kunden und einer Vielzahl von Unternehmen gesammelt hat, wie zum Beispiel von Verizon, einer der führenden amerikanischen Handyanbieter. Der Whistleblower war Edward Snowden, ein 29 Jahre alter Mitarbeiter der amerikanischen Sicherheitsbehörde und ehemaliger CIA Techniker, der dem Guardian mitteilte: „Ich habe nicht die Absicht, mich zu verstrecken, da ich weiß, dass ich nichts falsch gemacht habe.”

Während viele das Sammeln von Daten schnell als gesetzwidrige Handlung verurteilten, hatte die Entscheidung der Regierung, Informationen von Verizon zu verlangen in der Tat jedoch eine rechtliche Grundlage. Am 25. April 2013 billigte ein Sondergericht – der Foreign Intelligence Surveillance Court – einen Ersuch, die Kundeninformationen von Verizon der NSA zugängig zu machen. Doch auf welcher rechtlichen Grundlage konnte dieser Übergriff auf die Privatsphäre gestattet werden?

FISA, damals und heute

Die rechtlichen Grundlagen der Datensammlung sind ironischerweise auf ein Gesetz des Jahres 1978 zurückzuführen, das von bürgerlichen Liberalen verabschiedet worden ist. Infolge des Watergate Skandals und der Aufdeckung des systematischen Missbrauchs von exekutiven Überwachungsmechanismen, verabschiedete der Kongress den Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA), der die Kontrolle über amerikanische Überwachungsmaßnahmen verbessern sollte. Durch die Ernennung eines unabhängigen Gerichts zur Bearbeitung von Gesuchen zur Überwachung von US Bürgern, wollten die Befürworter des Gesetzes (unter denen auch Senator Ted Kennedy und Präsident Jimmy Carter waren) sicherstellen, dass die Überwachung durch die Regierung mit dem 4. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten (der „willkürliche Durchsuchung, Festnahme und Beschlagnahme” untersagt) zu vereinbaren ist.

In den Nachwirkungen des 11. Septembers wurden durch den Patriot Act Änderungen an FISA vorgenommen. Diese Änderungen gestatteten es der Regierung einzelne Personen zu überwachen, die nicht an einen bestimmten Staat gebunden waren. Im Jahr 2008 verabschiedete der Kongress einen weiteren Änderungsantrag zu FISA, der von besonderer Relevanz für den neuesten Skandal ist. Die hierzu relevante Stelle des Änderungsantrages ist der Abschnitt 702, der die Regierung befugt, Daten von bestimmten unter Beobachtung stehenden Personen zu sammeln. Während kein US Bürger (oder Personen, die sich in den Vereinigten Staaten aufhalten), rechtmäßig so beobachtet werden dürfen, dürfen aber Daten zu solchen Personen rechtmäßiger weise gesammelt werden, wenn Sie mit Personen in Kontakt stehen, die unter einer solcher besonderer Beobachtung stehen. Das heißt, wenn ein mutmaßlicher Terrorist aus einem anderen Land mit einem US Bürger kommuniziert, so dürfen die Daten dieses Bürgers gesammelt werden. Durch die Ansammlung einer Fülle von Daten auf diese Art und Weise können Analytiker eine sogenannte  „link analysis” – eine Methode der „Verknüpfung von Punkten” durchführen, durch die man bestimmte Personen identifizieren kann, die aufgrund ihrer Kommunikationsverhalten unter weiterer Beobachtung stehen sollten.

Kritiker geben zu bedenken, dass das FISA Gericht lediglich ein Jasager sei, da es in den letzten 35 Jahren nur 11 Ersuche verweigert, 20.000 Anfragen hingegen gestattet hat. Präsident Obama jedoch argumentierte, dass das Gesetz mit ernsthafter Diskretion angewandt wird und dass es zudem lediglich das Sammeln von Daten ermögliche. Der Regierung, so beteuerte er, sei es nicht gestattet, Telefongespräche abzuhören und dies würde auch nicht geschehen.

In den Augen vieler sind solche Argumente jedoch gar nicht von Relevanz. Der Regierung zu gestatten, eine Vielzahl von Daten über seine eigenen Bürger zu sammeln, die mit mutmaßlichen Terroristen in Kontakt stünden, verletze den 4. Verfassungszusatz zur „willkürlichen Durchsuchung, Festnahme und Beschlagnahme.” Menschenrechtsanwälte sind mit diesem Argument bis zum amerikanischen Supreme Court (Oberster Gerichtshof) gezogen. Der Oberste Gerichtshof befand jedoch, dass die Anwälte keine rechtliche Grundlage dafür hätten, diesen Fall zu vertreten, da sie nicht selbst von einem konkreten Fall der Überschreitung Ihrer Privatsphäre betroffen gewesen wären. Eine Tatsache, die sie an sich niemals beweisen könnten, da die Überwachungen ja geheim sind.

Trotzdem haben die neuerlichen Enthüllungen die Obama Administration dazu veranlasst, einige ihrer Operationen freizugeben, unter anderem auch die großangelegte Verizon Datensammlung.

Dies wiederum liefert die potentiellen Voraussetzungen für Betroffene, vor Gericht zu ziehen. Ein Verizon Kunde, die Amerikanische Civil Liberties Union, gedenkt genau das zu tun. Hinzu kommt, dass wenn die Regierung entscheidet den neuen Anfragen von Google und Microsoft stattzugeben und Informationen über die Anzahl und Art der erhaltenen FISA Anträge zu veröffentlichen (was momentan untersagt ist), könnten Versuche entweder FISA oder bestimmten NSA Datensammlungsprogrammen die konstitutionelle Grundlage zu entziehen, wiederum gestärkt werden.

Ist FISA jenseits der Grenze des Erlaubten? 

Die massenhafte Sammlung von Daten von Bürgern trägt beträchtliche Risiken mit sich, wenn man sich die Tendenz von Regierungen vor Augen halt, Fehler zu machen und ihre Macht zu missbrauchen. Es gibt beachtliche Impulse aus dem liberalen Politikdenken, die dafür plädieren alle Arten von Überwachungsoperationen – selbst solche, die sich auf die Analyse von Massendaten beschränken – zu untersagen. Der entsprechende Impuls in der amerikanischen Verfassungstheorie verurteilt uneingeschränkt alle Operationen, die nicht mit dem Grundsatz der Untersagung „willkürlicher Durchsuchung, Festnahme und Beschlagnahme” zu vereinbaren sind.

Aber es ist nicht unbedingt offensichtlich, dass diese Sichtweise die einzig richtige ist. Obama besteht darauf, dass diese Programme „helfen, Terroranschläge zu verhindern.” Es ist nicht zu leugnen, so Obama, dass dies seinen Preis hat. Kompromisse zwischen Privatsphäre und Sicherheit sind unvermeidbar, wenn wir davon ausgehen – so wie es die meisten Menschen tun – dass der Staat sowohl die Freiheit als auch die Sicherheit seiner Bürger beschützen sollte. Das Recht auf Privatsphäre hat wenig Bedeutung, wenn es unter dauernder Bedrohung durch Terroranschläge steht – ein Argument, das auch Thomas Hobbes Ernst genommen hat, als er argumentierte, dass es dem Staat nicht gestattet sein sollte, Freiheiten einzuschränken, außer wenn diese Einschränkungen von Nöten seien, um Bürger vor Angriffen zu schützen. Aber wir müssen noch nicht einmal den radikalen Hobbesschen Standpunkt vertreten, um zu dem Schluss zu kommen, dass die Frage nach FISAs Rechtmäßigkeit nicht zwingend eine Frage der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ist.

Angenommen, dass es wahr ist, dass FISA einem begründetem Widerspruch zu Grunde liegt, der sich in der richtigen Balance zwischen Freiheit und Sicherheit äußert – welche Konsequenz sollten wir daraus ziehen? Unsere Demokratiepraxis hat bereits eine Antwort auf die Frage bezüglich politischer Moral und legitimer Meinungsverschiedenheit: wir sollten offen darüber debattieren und dann eine der verschiedenen Optionen wählen. Dies, so zeigt es die Praxis, ist die Art und Weise, wie wir uns als Gleichgestellte respektieren, selbst wenn vernünftige, legitime Meinungsverschiedenheiten zwischen uns bestehen.

Die erste Antwort auf FISA sollte demnach nicht automatisch die sein, dass der Oberste Gerichtshof in das demokratische Politikgeschehen eingreift und FISA verbietet.

Stattdessen sollte die Antwort ein Aufruf sein, die Argumente dafür und dagegen offen zu diskutieren und sie dann einer demokratischen Abstimmung zu unterwerfen. Es ist nicht verständlich, warum angemessene Meinungsverschiedenheiten zwischen gewissenhaften Bürgern auf irgendeinem anderen Weg entschieden werden sollten. In der Tat, der Beweggrund für das Oberste Gericht aufgrund einer rechtlichen Formalie nicht über die konstitutionelle Rechtmäßigkeit von FISA zu entscheiden, könnte sein, diese Entscheidung dem amerikanischen Volk überlassen zu wollen.

Das eigentliche Problem

Jedoch wurde FISA schon einigen demokratischen Abstimmungen unterworfen. Es wurde zuerst im Jahr 1978 verabschiedet und schließlich im Jahr 2008 durch das Hinzufügen von Zusatzbestimmungen neuerlich durch den Kongress autorisiert mit der Unterstützung des weißen Hauses. Diese Tatsache nimmt den Gegner von FISA den Wind aus den Segeln, wenn sie behaupten, dass FISA in einer autokratischen Art und Weise verhängt worden ist. Aufgrund verschiedener demokratisch erlassener Gesetze ist es ist schon lange bekannt, dass sich die Regierung an Überwachungen zum Zweck der Datensammlung beteiligt. Es sollte niemanden überrascht haben, dass die Regierung solchen Maßnahmen nachgeht; es ergibt sich eindeutig aus Absatz 702 des FISA Amendment Act, dass der Staat rechtlich gestattet ist, solche Überwachungsmaßnahmen durchzuführen.

Bürger müssen mit Hinblick auf Streben nach Gerechtigkeit mehr Eigeninitiative zeigen. Diejenigen, die glauben, dass FISA nicht die richtige Balance zwischen Privatsphäre und Sicherheit herstellt, sollten nicht erst auf einen Skandal warten, um dann von den Gerichtshöfen Hilfe zu erwarten. Sie sollten den Verantwortungen Folge leisten, die Ihnen das demokratische Bürgerrecht überträgt und Verantwortung dafür übernehmen, was der Gesetzgeber beschließt.

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Das Projekt „Debatte zur Meinungsfreiheit“ ist ein Forschungsprojekt des Dahrendorf Programme for the Study of Freedom am St Antony's College an der Universität von Oxford.

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