Journalisten haben kein Recht darauf, unsere Privatsphäre zu verletzen

Eric Barendt, führender Experte zur Meinungsfreiheit, verteidigt einen Bericht des britischen Parlaments zum Stand der Privatsphäre und stellt sich gegen die Kritik des Journalisten John Kampfner.

Es war wohl vorhersehbar, dass der Bericht eines parteiübergreifenden Ausschusses des britischen Oberhauses (engl. House of Lords) zur Achtung der Privatsphäre schon am Tag seiner Veröffentlichung von der Presse in der Luft zerrissen wurde. Die Überschrift einer scharfen Attacke gegen den Bericht, veröffentlicht im „Guardian“ und verfasst von John Kampfner, ließ verlauten: „Eine strengere Rechtslage zur Privatsphäre dient nur den Mächtigen und Reichen.” Basierend auf der Behauptung, dass Gesetze zur Privatsphäre hauptsächlich Politikern nützten, die von den Medien ins Rollen gebrachte öffentliche Skandale verhindern wollten, schlussfolgerte Kampfner, dass Parlamentarier und andere Beisitzende des Ausschusses nur oberflächlich die Meinungsfreiheit hätten stärken wollen. Kampfner argumentierte besorgt, dass Empfehlungen des Berichts, Suchmaschinen dazu verpflichten wollten, nicht nur „jegliches Material welches die Privatsphäre verletzen könnte als Suchmaschinenbegriff zu löschen, sondern es ganz aus dem Internet zu entfernen.”

Diese Kritik ist ungerechtfertigt. Zum Einen empfahl der Ausschuss nicht, wie es die Guardian-Überschrift suggeriert, dass „strengere” Gesetze zur Wahrung der Privatsphäre eingeführt werden sollten. Dem Bericht zufolge sichern die zuständigen Gerichte bereits jetzt eine gute Balance zwischen der Verteidigung der Meinungsfreiheit (sowie der Pressefreiheit) auf der einen Seite und dem Schutz der Privatsphäre auf der anderen. Beide sind als Menschenrechte in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert und durch den Human Rights Act des Jahres 1998 auch Teil britischen Rechts. Die Gerichte und andere Institutionen, wie die ehemalige Pressebeschwerdekommission, die für Rechtsprechungen zur Privatsphäre zuständig sind, müssen mit Hinblick auf alle relevanten Fakten entscheiden, ob in einem bestimmten Fall das Recht auf Privatsphäre oder aber das Recht auf Meinungsfreiheit überwiegt. Die meisten Gerichtsurteile befassen sich mit Fußballern oder anderen Prominenten, die verhindern wollen, dass intime Geschichten über ihr Sexualleben veröffentliche werden. Sie befassen sich meist nicht mit Politikern oder anderen Personen des öffentlichen Interesses, die wichtige wirtschaftliche oder sozial-politische Entscheidungen für uns treffen. Doch selbst Politiker haben, so hat es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, ein Recht auf ein Privatleben. Es ist nicht sicher, ob es im öffentlichen Interesse ist, zu wissen, ob ein/e PolitikerIn eine Affäre mit seiner/ihrer SekretärIn hatte, außer wenn sich herausstellen sollte, dass dies einen Einfluss auf die Ausübung seines/ihres Mandats oder Anwesenheit im Parlament hatte. Es ist mit Sicherheit so, dass die Reichen und Mächtigen öfter von Gesetzen zum Recht auf Privatsphäre Gebrauch machen, aber dies hat vor allem damit zu tun, dass die Presse und andere Medien viel öfter über das Privatleben, speziell über sexuelle Affären, dieser Personen berichten, als dies bei normalen Bürgern der Fall  ist, für deren Privatleben sich die Öffentlichkeit im Allgemeinen nicht interessiert. Dazu kommt, dass es sich oftmals nur die Reichen leisten können, solche Konflikte vor Gericht auszutragen, wie es auch schon im Bericht erwähnt wird (Par.136). Diese Tatsache ist jedoch genauso wenig Argument gegen die Existenz von Gesetzen zur Privatsphäre wie gegen die Existenz von Hotels wie dem Ritz oder dem Dorchester. Die Lösung des Problems ist, die Kosten von Gerichtsverfahren zu reduzieren oder realistischer weise dafür zu sorgen, dass Bürger deren Privatleben die Aufmerksamkeit der Medien erregt hat, Zugang zu anderen, weniger kostspieligen Instanzen haben, um ihre Privatsphäre zu schützen. Im fünften Kapitel des genannten Berichtes unterbreitet die Kommission einige vernünftige, obgleich zaghaft formulierte, Empfehlungen zum Schutz der Privatsphäre, einschließlich eines Vorschlages für ein alternatives System der Konfliktlösung in Bezug auf Beschwerden zur Verletzung der Privatsphäre (siehe Par. 203-209). Auf diese Vorschläge jedoch nimmt Kampfner in seiner Kritik keinen Bezug genommen.

Das eigentliche Problem liegt darin, wie man das Recht auf Privatsphäre aufrecht halten kann, wenn es auf so einfache Weise von Bloggern, Twitternutzern und – traurigerweise – auch von unverantwortlichen Parlamentariern verletzt werden kann (siehe Kapitel 6 des Berichtes zum Verhältnis von Privatsphäre und Redefreiheit im Parlament). Prinzipiell kann man sich darauf verlassen, dass sich die traditionellen Massenmedien an Gerichtsbeschlüsse halten, einschließlich derer, die die Anonymität der Kläger wahren sollen. Diese Medienbranchen werden von Anwälten beraten. Zudem sind sich die Herausgeber, speziell jene von Lokal- und Regionalzeitungen, dessen bewusst, dass die Verletzung von Privatsphäre ein erhebliches finanzielles Risiko mit sich bringt sowie den potentiellen Respektverlust von Seiten der Gemeinschaft, die sie bedienen. Wir können nicht davon ausgehen, dass sich Blogger oder Twitternutzer ebenso an diese Vorschriften halten. In der Tat kann man sogar annehmen, dass sie sich daran erfreuen, Gerichtsbeschlüsse zu missachten, besonders dann, wenn sie dem Wert der Privatsphäre selbst skeptisch gegenüberstehen.

Aus diesem Grund hat die Kommission eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, um sicher zu stellen, dass das Recht auf Privatsphäre besser geschützt wird, besonders in der digitalen Welt (siehe Par. 91-119). Eine dieser Empfehlungen ist es, Google und andere Suchmaschinen dazu anzuhalten – und wenn notwendig sie rechtlich dazu zu verpflichten – Verlinkungen zu Internetseiten zu entfernen, welche nach Urteil eines Gerichtes die Privatsphäre verletzen. Die Beweislage gegen Google lässt vermuten, dass selbst dann, wenn es technisch möglich ist, den Zugriff auf bestimmte Internetseiten zu filtern, es nicht im Interesse Googles ist, dies auch zu tun (siehe Par. 110-115). Verständlicherweise sah die Kommission diese Position kritisch, da sie von einem Widerwillen zeugt, Gerichtsurteile umzusetzen, wie Max Mosley argumentiert. Die Kooperation von Google würde nicht, wie Kampfner behauptet, dazu führen, dass die Internetseite selbst entfernt würde. Lediglich der Zugriff auf die Seite würde nicht als Suchergebnis erscheinen.

Zwei grundlegende Ansichten unterliegen der medialen Kritik an dem Ausschussbericht – welcher generell eher vorsichtige und konservative Empfehlungen unterbreitet. Es ist erstens zu einfach für Journalisten und andere Kommentatoren zu behaupten, dass alles, was sie schreiben durch das grundlegende Menschenrecht auf Meinungsfreiheit (oder Redefreiheit) geschützt ist. Dies ist nicht der Fall – wenngleich vieles natürlich zutrifft. Es ist nicht eindeutig festzulegen, ob Tratsch und Klatsch oder intime Informationen über Berühmtheiten, mögen sie wahr sein oder nicht, wirklich unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen. Zweitens wird der Wert der Privatsphäre oft unterbewertet und diskreditiert, vielleicht weil das Recht auf Privatsphäre in einer Vielzahl von Situationen genannt wird. Zum Beispiel gilt das Recht auf Abtreibung in den USA als ein Aspekt von Privatsphäre.

Doch das Recht auf Privatsphäre ist ein grundlegendes Recht. Ohne dieses Recht fehlt uns der Raum und die Möglichkeit, unsere individuelle Persönlichkeit zu entfalten oder uns an Gesprächen zu beteiligen. Zudem setzt die Entwicklung von engen Freundschaften oder von Intimität das Bestehen der Privatsphäre voraus. Die Abschaffung des Rechts auf Privatsphäre – welches die unbeabsichtigte Konsequenz der Mediendebatte in diesem Zusammenhang wäre – würde die Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit zerstören, und das auf unser aller Kosten.

Dieser Artikel wurde auch auf Eurozine veröffentlicht.

Eric Barendt, Emeritus Professor of Law an der UCL, ist Autor des klassischen Nachschlagewerks Freedom of Speech (OUP) und Berater der Debatte zur Meinungsfreiheit.

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Kommentare (1)

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  1. Privacy needs to be protected regardless of ones status in the community and journalists do not have the right to invade ones privacy by whatever means available under the guise of Freedom of Speech. You only need to look at the case involving News Corp hacking the phones of celebrities, dignitaries, royals and even victims of 9/11 to know that the lines are no only blurred but bordering on obliteration.

    News should be that which is deemed relevant to the populace. It should directly impact our lives or offer valuable information. It should be meaningful, and not be the loose facts or, in many cases, pure fiction that makes up todays tabloid papers.

    Does the public need, much less, have a right to know the inner workings of another’s personal life; I don’t think so. Sure, it may be interesting fodder for the morning coffee klatch or water cooler collective to discuss what celebrity, politician or sports figure is dating who, having an affair, dines at what restaurant or has bad breath, but is it really fair much less necessary. If you argue as public figures they give up the right to privacy, as has been done repeatedly, where does it stop. What in this digital age constitutes a “Public Figure”? If it is broadly defined as one whom the public can easily have knowledge of, then to one extent or another we are all becoming public figures. Would you like to have your life exposed and under the same scrutiny as a celebrity. Just because they have a job that puts them on film should it really mean they are no longer private citizens?

    If you have a blog with 50,000 followers are you now fair game, has your notoriety elevated you to the status of losing your right to privacy. What if you have 2,500 friends on Facebook or post a video on Youtube exposing yourself to millions of potential viewers are you then a public figure. I would hope that most would say this does not constitute de facto enrolment into such a class, but are the definitions clear enough. According to attorney Aaron Larson: A person can become an „involuntary public figure“ as the result of publicity, even though that person did not want or invite the public attention. For example, people accused of high profile crimes may be unable to pursue actions for defamation even after their innocence is established…

    To protect the affluent as well as the masses is important. To level the playing field perhaps the reporter who has invaded ones privacy, should he be found in violation by a court, be compelled to not only pay the court costs of his victim but pay a preset fine for each occurrence. This may well be deterrent enough to cause the privacy invader to think twice before publishing their findings to the world.

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Das Projekt „Debatte zur Meinungsfreiheit“ ist ein Forschungsprojekt des Dahrendorf Programme for the Study of Freedom am St Antony's College an der Universität von Oxford.

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