Die Scorpions zensiert

Im Jahr 2008 sperrten sechs britische Netzbetreiber den Zugang zu einer Wikipedia-Seite, auf der im Titelbild eines Musikalbums ein nacktes vorpubertäres Mädchen zu sehen war, schreibt Maryam Omidi.

Der Fall

Am 5. Dezember 2008 sperrten sechs britische Netzbetreiber den Zugang zu einer Wikipedia-Seite der deutschen Band The Scorpions. Auf der Seite ging es um das Scorpions-Album Virgin Killer (dt. Jungfrauentöter), auf dessen Titelbild ein nacktes zehnjähriges Mädchen zu sehen ist, dessen Genitalien nur von einer gesprungenen Glasscheibe verdeckt werden. Dies führte bereits bei der Veröffentlichung des Albums 1976 zu Kritik. Die Alben mussten in mehreren Ländern in schwarzen Plastikhüllen verkauft werden. In den USA und Großbritannien wurde das Titelbild schließlich durch ein Foto der Band ersetzt.

Die Netzbetreiber sperrten die Seite, nachdem sie von der Internet Watch Foundation (IWF), einer sich selbst regulierenden britischen Onlinebehörde, auf eine schwarze Liste gesetzt worden war. Die Behörde reagierte damit auf die Beschwerde eines Bürgers. Die britische Wikipedia-Gemeinde war von der Entscheidung verärgert, und konnte den Inhalte der Seite nicht mehr verändern, was eine der unbeabsichtigten Folgen der Sperrung war. Laut eines Berichts der Electronic Frontier Foundation war die ganze Enzyklopädie zeitweise für einige Nutzer unzugänglich, da die Filtersysteme ihrer Netzbetreiber überfordert waren. Am 9. Dezember 2008 machte die IWF ihre Entscheidung rückgängig und gab bekannt, dass das Titelbild zwar illegal sei, dass jedoch die Zensur eines Bildes, das bereits “so lange im Umlauf und derart leicht verfügbar ist” zwecklos sei.

Meinung des Autors

Ich kann nachvollziehen, warum das Bild eines nackten Kindes bei der IWF die Alarmglocken schrillen ließ, und ich glaube, dass die Debatte eine andere gewesen wäre, wenn es um ein aktuelleres Album gegangen wäre. Doch Fakt ist, dass das Titelbild im Internet überall verfügbar (sogar auf Amazon) und seit drei Jahrzehnten im Umlauf war – was auch die IWF schlussendlich anerkannte. Der Mangel an Transparenz in der Entscheidungsfindung der IWF war jedoch in diesem Fall wirklich problematisch. Dazu gehört auch, dass man sich nicht mit der Wikimedia Foundation in Verbindung setzte. Dies ist besonders deshalb bedenklich, weil die IWF eine private, sich selbst regulierende, von der EU und der Internetindustrie finanzierte Organisation ist, und keine öffentliche, rechenschaftspflichtige Regulierungsbehörde.

- Maryam Omidi

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Das Projekt „Debatte zur Meinungsfreiheit“ ist ein Forschungsprojekt des Dahrendorf Programme for the Study of Freedom am St Antony's College an der Universität von Oxford.

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