Wenn man durch Neutralität seine Meinung äußert

Stephen Meili untersucht, wie unterschiedlich die USA und Großbritannien Menschen behandeln, die darauf bestehen, keine politische Meinung zu vertreten.

In westlichen demokratischen Staaten gilt es als selbstverständlich, dass Bürger das Recht haben, ihre politischen Meinungen zu vertreten. Dieses Recht ist in Dokumenten wie der amerikanischen Bill of Rights (zu deutsch Grundrechtscharta) oder der Europäischen Menschenrechtskonvention festgesetzt. Doch wie steht es um das Recht, keine politische Meinung zu haben? Meistens kann man ohne Probleme eine neutrale Position einnehmen und keine Meinung vertreten. In manchen Teilen der Erde kann solch politische Neutralität jedoch zu Haftstrafen führen, etwa wenn man sich weigert, den Herrschenden und den Mächtigen des Landes Treue zu schwören. Es stellt sich daher die Frage, ob man Menschen Asyl gewähren sollte, wenn sie für ihre politische Neutralität verfolgt werden.

Der oberste britische Gerichtshof musste sich diese Frage stellen, als der Fall RT Simbabwe gegen die Innenministerin verhandelt wurde. Dieser im Juli 2012 abgeschlossene Fall betraf mehrere unpolitische Bürger Simbabwes, die sich in Großbritannien um Asyl beworben hatten. Ihren Antrag begründeten sie damit, dass ihnen in ihrer Heimat Mord, Vergewaltigung oder andere Gewalt drohe, wenn sie sich weigerten, der politischen Führung Robert Mugabes ihre Treue zu schwören. Die britische Innenministerin argumentierte jedoch, die Asylbewerber hätten kein Anrecht auf Asyl, weil ihre politische Neutralität Gleichgültigkeit sei und kein Zeichen einer resoluten politischen Haltung.

Der oberste Gerichtshof widersprach der Innenministerin und entschied, dass die Konvention zum Status von Flüchtlingen des Jahres 1951 sowie die Europäische Menschenrechtscharta, das Recht eines jeden Menschen darauf, keine Meinung zu haben, genauso schütze, wie das Recht darauf, eine Meinung zu haben. Das Gericht wies zudem die Unterscheidung zwischen, „einer Person, die aus Gewissensgründen oder echter Überzeugung eine Position der politischen Neutralität einnimmt und einer Person, die sich überhaupt nicht mit politischen Fragen auseinandersetzt, weil sie sich für derartige Themen schlicht nicht interessiert,” zurück.

Zu einem anderen Urteil kam 1991 der oberste Gerichtshof der USA im Fall INS gegen Elias-Zacarias. Elias-Zacarias war 1987 aus Guatemala in die USA geflohen, nachdem ihn Rebellentruppen unter Morddrohungen rekrutieren wollten. Er lehnte ab und wollte keine der beiden Konfliktparteien unterstützen, befürchtete jedoch, dass die Rebellen sich an ihm für seine Haltung rächen würden. Der oberste Gerichtshof, angeführt von Richter Scalia, argumentierte, dass das von Elias-Zacarias vorgebrachte Beweismaterial nicht ausreichend belege, dass die Rebellen ihn nach einer Rückkehr nach Guatemala tatsächlich wegen seiner politischen Überzeugung verfolgen würden.

Diese Entscheidung steht seit Jahren unter der Kritik, zu viel Beweismaterial verlangt zu haben. Doch das Urteil ist auch deshalb wichtig, weil sich die Richter weigerten, einem Asylantrag wegen politischer Verfolgung stattzugeben. Richter Scalia wies den Einwand, dass Elias-Zacarias Neutralität eine ausdrückliche und konkrete politische Haltung darstelle, zurück. Er argumentierte dabei, dass eine solche Haltung nicht von, „Gleichgültigkeit, Unentschlossenheit und Risikoscheue” unterschieden werden könne. Die Haltung des Klägers gleicht somit der Haltung der britischen Innenministerin im oben beschriebenen Fall.

Richter Scalias Argumentation ist vor allem deshalb suspekt, weil das amerikanische Recht so eindeutig auch das Recht einer Person, der Regierung keine Treue zu schwören, schützt. In dem Fall West Virginia Board of Education v. Barnette (1933) zum Beispiel argumentierte der oberste Gerichtshof wie folgt: „Wenn es in unserem Verfassungssystem einen Fixstern gibt, dann ist dies der Grundsatz, dass kein Beamter, egal wie hoch oder niedrig, vorschreiben kann, was in Fragen der Politik, des Nationalismus, der Religion oder anderen Bereichen, der konventionelle Standpunkt ist.” Es ist eine Ironie der Geschichte, dass der britische oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung zum Fall RT Simbabwe genau diese Textstelle zitierte, als er den Klägern Asyl gewährte.

Der unterschiedliche Ausgang der beiden Fälle ist jedoch nicht nur für Juristen interessant, denn er zeigt auch deutlich, wie Menschenrechtsverträge über Leben und Tod entscheiden können: Die Entscheidung des britischen Gerichts basierte zum Teil auf der UNO-Menschenrechtskonvention und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (engl. Abkürzung ICCPR), die so interpretiert wurden, dass sie das Recht garantieren, keine politische Meinung zu haben.

Bedenkt man die Abneigung, die viele Richter des obersten Gerichtshofs der USA gegenüber internationalem Recht verspüren (Richter Scalia bezeichnete die internationale Menschenrechtsgesetzgebung einst als „dunklen und allgegenwärtigen Schatten am Firmament”), so überrascht es nicht, dass das Gericht im Fall Elias-Zacarias internationales Recht wie den ICCPR, den die USA zwar ratifiziert, der jedoch nicht in ihr Rechtssystem eingearbeitet wurde, ignorierten. Die internationalen Menschenrechtsgesetze, unter anderem auch der ICCPR, sehen vor, dass auch wer keine politische Meinung hat, somit eine „politische Meinung” hat. In Großbritannien half dies den Klägern im FallRT Simbabwe, Asyl gewährt zu bekommen. In den USA trug die Weigerung des Gerichts, internationales Recht zu berücksichtigen, zu Elias-Zacarias tragischem Schicksal bei.

Stephen Meili ist Supervising Attorney und Professor an der Jurafakultät der Universität von Minnesota.

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Kommentare (1)

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  1. The Cruel Reality

    My fellow writer and I were very interested in your topic and your argument, We come from a small town called Wassenaar in The Netherlands and attend the American School of the Hague. We were both interested on political asylum policies in the US, UK and our home country, the Netherlands. We found some intriguing facts about our own country and hope to enlighten you with them.
    In your article, you stated that the UK Supreme Court accepted political asylum to the UK in grounds that there wasn’t substantial evidence on the grounds that the RT Zimbabwean was claiming. The US Supreme Court dealt with the Elias-Zacarias and felt that there wasn’t substantial evidence.
    Unlike how the US responded to a similar case, I agree with UK’s response. “If there is any fixed star in our constitutional constellation, it is that no official, high or petty can prescribe what shall be orthodox in politics,nationalism, religion, or the matters of opinion or force”. This is the reason why the US Supreme Court denied asylum to Elias-Zacarias, contrary, this is the reason why the UK Supreme Court allowed asylum to applicants in RT Zimbabwe. For the applicants to refrain from having a political opinion in Zimbabwe seems logical if there is no right choice. According to Article 5 of the European Convention of Human rights, people have the right to freedom of expression, allowing you to say and write what you think. If a life hangs in the balance of the simple notion of accepting a refugee, it should be a quick choice of what to do. If you deny access to your country, they will die. I completely agree with the reasoning behind the UK Supreme Court’s decision. The UK’s decision was based on the UN Declaration of Human Rights and the International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR).
    I think that the lack of reference to the international law shows the ignorance of the US supreme court in the case of Zacharias and was the key difference between life and death.
    We believe more in the right to have political asylum and following the human rights which the ICCPR and the UN declaration of human rights suggest. The fact is that Zacharias chose not to take a side, and we take a stance that this is a political opinion and the US had no right to believe otherwise. Throughout the years, the Netherlands has become stricter with its asylum laws. Recently with the issues of homosexuals in Russia, the Dutch Foreign Minister made a statement saying that the Netherlands will not be offering asylum to the homosexuals, as they are not being prosecuted. We were curious about how political asylum worked in the Netherlands and after researching it, we couldn’t find if the Netherlands Immigration had a policy saying: if a refugee does not pledge allegiance the country he/she will not be granted asylum to the country. We found that on the Immigration website, there was no condition saying that without pledging allegiance, you would be denied access, so can we assume that this does not apply to the Netherlands?
    With the US not even taking into account the ICCPR and the UN declaration of human rights, we prefer the policies both in the Netherlands and the UK. It is true that countries do not have to allow asylum on the basis that you have turned on your home country’s government. However, if the matter is life and death, we believe that countries should take a more in depth consideration towards the people seeking political refuge, taking this into account we think that the lack of reference to the international law shows the ignorance of the US supreme court in the case of Zacharias and was the key difference between life and death.

    In conclusion, the UK’s ability to reference the UN declaration of human rights and the granting asylum to the applicants in Zimbabwe, shows great contrast towards the US supreme court’s motive to not accept Zacharias into the US under the lack of evidence and political opinion. However, the US’ failure to reference the international law shows a key difference between the UK and US supreme court and shows that the US must become more involved with the several human rights laws including the ICCPR and the UN declaration of human rights, and should be implemented into the American domestic law. Does the absence of mentioning the pledging of allegiance to the Netherlands mean that it is not a crucial point in the granting of political asylum?

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