Das Lexikon des “Gras-Schlamm-Pferdes”

Das Gras-Schlamm-Pferd-Lexikon, ein chinesischer Katalog subversiver Internet-Witze, ist ein Beispiel fuer die unerschütterliche menschliche Kreativität, schreibt Amy Qin.

Der Fall

Anfang 2009 tauchte auf einer chinesischen Webseite ein auf den ersten Blick harmloses Video unter dem Titel „Lied des Gras-Schlamm-Pferdes” auf. Das Video zeigte ein „Gras-Schlamm-Pferd“, was im Chinesischen fast genauso ausgesprochen wird wie das verbotene „cào nǐ mā” (fick Deine Mutter), das einen Flusskrebs besiegt. Der „Flusskrebs“ stellt dabei selbst ein Wortspiel mit dem Wort „Harmonie“ (héxiè) dar, eine beliebte Parole der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Das satirische Video wurde über Nacht ein Hit unter den chinesischen Internetnutzern und katapultierte das Gras-Schlamm-Pferd an die Spitze einer Online-Protestbewegung, die die Zensurmethoden der Partei umgeht und ins Lächerliche zieht.

Dem Pferd folgte bald eine ganze Lawine von chinesischen Wortspielen über die Internetzensur und die trockene Rhetorik der Partei. So haben sich Netzbürger zum Beispiel den „fünfunddreißigsten Mai“ (wǔyuèsānshíwǔrì) ausgedacht, um auf die hochsensiblen Ereignisse am Platz des Himmlischen Friedens anzuspielen, die in China nach ihrem Datum als der „Vorfall des 4. Juni“ bekannt sind. Auf seiner zweisprachigen Nachrichtenseite China Digital Times hat ein Student der University of California, Berkeley, Xiao Qiang, die subversiven Sprüche in einem Wikipedia-artigen „Gras-Schlamm-Pferd-Lexikon“ gesammelt. Dadurch hofft die China Digital Times, zu einem besseren Verständnis des „Widerstandsdiskurses“ beizutragen, welcher „der freien Meinungsäußerung und Zivilgesellschaft in China eine Schneise [geschlagen hat]“.

Meinung des Autors

Das „Gras-Schlamm-Pferd-Lexikon” ist ein Beispiel für die unermüdliche Kreativität des menschlichen Geistes. Selbst angesichts zunehmend unterdrückerischer Onlinezensur haben chinesische Netzbürger es geschafft, ihre Meinungen auf innovative und kreative Art und Weise auszudrücken. Das stetig wachsende Lexikon kann als Beweis dafür gelten, dass viele Netzbürger die Diskussion über wichtige geschichtliche und politische Themen wiederbeleben, die die Partei, wie den „fünfunddreißigsten Mai“ oder das „Gras-Schlamm-Pferd“ lieber unter den Teppich kehren würde. Man muss sich aber bewusst sein, dass dieser humorvolle Widerstandsdiskurs noch nur von einem kleinen Teil der chinesischen Bevölkerung geführt wird, und dass die meisten Chinesen die ungeheuerlichen öffentlichen Übergriffe im Internet passiv erdulden.

- Amy Qin

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Das Projekt „Debatte zur Meinungsfreiheit“ ist ein Forschungsprojekt des Dahrendorf Programme for the Study of Freedom am St Antony's College an der Universität von Oxford.

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